ADHS und Pharmakotherapie: Senkung von Mortalität und Hospitalisierungsrisiken

ADHS und Pharmakotherapie: Senkung von Mortalität und Hospitalisierungsrisiken

Überblick über die Studien

Erste Studie (JAMA, 12. März 2024):

  • Titel: „ADHD Pharmacotherapy and Mortality in Individuals With ADHD“
  • Studiendesign: Beobachtungsstudie
  • Stichprobe: 148.578 Patienten im Alter von 6 bis 64 Jahren
  • Zeitraum: 2007 bis 2018
  • Ergebnisse:
    • Reduktion der Sterblichkeitsrate um 19 %
    • Reduktion des Risikos für Todesfälle durch unnatürliche Ursachen wie Unfälle, Suizid und Überdosierungen um 50 %.

Zweite Studie (JAMA Network Open, 20. März 2024):

  • Titel: „Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Medications and Work Disability and Mental Health Outcomes“
  • Studiendesign: Kohortenstudie
  • Stichprobe: 221.714 Personen im Alter von 16 bis 65 Jahren
  • Zeitraum: 2006 bis 2021
  • Ergebnisse:
    • Reduktion von psychiatrischen Hospitalisierungen durch Amphetamin (26 %), Lisdexamphetamin (20 %) und Polytherapie (15 %)
    • Reduktion suizidalen Verhaltens durch Dexamphetamin (31 %), Lisdexamphetamin (24 %) und Methylphenidat (8 %)
    • Reduktion nicht-psychiatrischer Krankenhausaufenthalte.

Hintergrund und Bedeutung der Pharmakotherapie

ADHS betrifft viele Menschen und kann zu schwerwiegenden psychischen Erkrankungen wie Angststörungen und Depressionen führen. Bis zu 50 Prozent der erwachsenen ADHS-Betroffenen entwickeln im Laufe ihres Lebens eine Angststörung oder Depressionen. Diese psychischen Erkrankungen können das Leben enorm belasten. Eine gut eingestellte medikamentöse Behandlung kann hier eine entscheidende Rolle spielen.

Methodik der Studien

Das Forschungsteam um Dr. Heidi Taipale analysierte von 2006 bis 2021 die Gesundheitsdaten von 221.714 Personen mit ADHS im Alter von 16 bis 65 Jahren. Anhand der persönlichen Identifikationsnummern konnten die Forscher verfolgen, welche ADHS-Medikamente verschrieben wurden und ob die Betroffenen wegen Folgeerkrankungen in Behandlung waren. Der primäre Fokus der Untersuchung lag auf der Reduktion psychiatrischer Krankenhauseinweisungen und suizidalen Verhaltens. Sekundäre Ziele waren die Reduktion nicht-psychiatrischer Krankenhausaufenthalte und Arbeitsunfähigkeit.

Ergebnisse

Die Analyse ergab, dass Medikamente wie Amphetamin, Lisdexamphetamin und Methylphenidat das Risiko für psychiatrische Hospitalisierungen und suizidales Verhalten deutlich senken.

  • Amphetamin: Reduktion des Risikos für psychiatrische Hospitalisierungen um 26 % (bereinigte Hazard Ratio 0,74)
  • Lisdexamphetamin: Reduktion um 20 % (bereinigte Hazard Ratio 0,80)
  • Polytherapie: Reduktion um 15 % (bereinigte Hazard Ratio 0,85)
  • Dexamphetamin: Reduktion um 12 % (bereinigte Hazard Ratio 0,88)
  • Methylphenidat: Reduktion um 7 % (bereinigte Hazard Ratio 0,93)

Bei der Reduktion suizidalen Verhaltens zeigten insbesondere Dexamphetamin (bereinigte Hazard Ratio 0,69) und Lisdexamphetamin (bereinigte Hazard Ratio 0,76) eine hohe Wirksamkeit.

Ein weiterer positiver Nebeneffekt war die Reduktion des Risikos für nicht-psychiatrische Krankenhausaufenthalte durch nahezu alle eingesetzten Medikamente. Für die Arbeitsfähigkeit zeigten sich die signifikantesten Verbesserungen bei jungen Erwachsenen durch Atomoxetin (bereinigte Hazard Ratio 0,89).

Diskussion und Schlussfolgerungen

Die hohe Qualität der Studie basiert auf der umfangreichen Analyse landesweiter Registerdaten. Die große Stichprobe und die lange Beobachtungsdauer von 15 Jahren tragen zur Robustheit und Zuverlässigkeit der Ergebnisse bei. Die differenzierten Erkenntnisse zu verschiedenen Medikationstypen bieten eine solide Grundlage für zukünftige Behandlungen.

Diese Ergebnisse sind ermutigend und zeigen, dass eine gut eingestellte medikamentöse Behandlung nicht nur die Symptome von ADHS lindern kann, sondern auch das Risiko schwerwiegender psychischer Folgeerkrankungen reduziert. Dies könnte vielen Betroffenen helfen, ein stabileres und erfüllteres Leben zu führen.

Interview mit Frances Levin, M.D.

Unbehandelte ADHS bei Erwachsenen führt zu erheblichen Folgen. Die Autoren der in JAMA Network Open vorgestellten Studie glauben, dass der Rückgang der Krankenhausaufenthalte die Tatsache widerspiegelt, dass der Einsatz von ADHS-Medikamenten mit einem verringerten Risiko für Selbstmordversuche, Substanzkonsumstörungen, Depressionen, Autounfälle und unbeabsichtigte Verletzungen verbunden ist.

Frances Levin, M.D., erklärt in einem Interview, dass Impulsivität bei Erwachsenen zu schlimmen Folgen führen kann. Durch die Verbesserung der Impulsivität und der exekutiven Funktionen können Menschen bessere Entscheidungen treffen. Bei Patienten mit Substanzkonsumstörungen ermöglicht die Behandlung von ADHS eine bessere Nutzung der klinischen Behandlung, was das Risiko des Substanzmissbrauchs und versehentliche Vergiftungen oder Überdosierungen reduziert.

Fazit

Die Studien stärken das Vertrauen in die medikamentöse Behandlung von ADHS und zeigen, dass die Angst vor Nebenwirkungen oder Vorbehalte gegenüber Medikamenten überdacht werden sollten. Eine sorgfältig überwachte Pharmakotherapie kann einen großen Unterschied im Leben von ADHS-Betroffenen machen. Die Ergebnisse bieten neue Hoffnung und Unterstützung für alle, die mit ADHS leben oder jemanden kennen, der betroffen ist.

Persönliche Meinung

In der Selbsthilfegruppe höre ich oft Ängste vor ADHS-Medikamenten. Ich war auch skeptisch und habe die Medikation für mich und meine Kinder abgelehnt. Im Nachhinein war das ein Fehler. Unbehandelte ADHS hat uns größere Probleme gebracht. Man sollte mehr Angst vor den Folgen der unbehandelten ADHS haben als vor den Medikamenten. Die Vorteile überwiegen eindeutig die möglichen Nebenwirkungen.

Quellen

  1. Taipale, H., Bergström, J., Gêmes, K., et al. „Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder Medications and Work Disability and Mental Health Outcomes.“ JAMA Network Open, 20. März 2024.
    https://jamanetwork.com/journals/jamanetworkopen/fullarticle/2816499

  2. Li, L., Zhu, N., Zhang, L., et al. „ADHD Pharmacotherapy and Mortality in Individuals With ADHD.“ JAMA, 12. März 2024.
    https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2816499

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